Workshop zu “Religious Studies im Digitalen Zeitalter“ am Comer See

Marco Büchler und Alexandra Nusser (Institut für Angewandte Informatik (InfAI) e.V.) koordinierten zusammen mit der italienischen Kollegin Francesca Cadeddu (FSCIRE Bologna) den Workshop “Religious Studies in the Digital Age: Aligning Research Methodologies and National Strategies”.

Der interdisziplinäre Workshop fand vom 27. Februar bis 4. März 2023 am Comer See in der Villa Vigoni statt, die als „Deutsch-Italienisches Zentrum für den Europäischen Dialog“ vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in Kooperation mit dem italienischen Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und internationale Zusammenarbeit (MAECI) getragen wird und gemeinsam mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft Projekte fördert, die deutsch-italienischen Beziehungen in den Bereichen Forschung, Bildung und Kultur im europäischen Kontext stärken.

20 Wissenschaftler:innen aus den Bereichen IT, Digital Humanities und verschiedenen geisteswissenschaftlichen Disziplinen wie Arabistik, Paläographie, Linguistik, Philosophie und Kirchengeschichte hielten Impulsreferate und diskutierten anschließend, wie das Potenzial von Big Data und digitalen Werkzeugen in den „Religious Studies“ am effektivsten genutzt werden kann. Ausgehend von grundlegenden Fragen wie den spezifischen Charakteristika von Daten in diesem Fachgebiet und der unterschiedlichen Verwendungen der physischen Primärquellen und ihrer digitalen Repräsentanten wurden technische, methodologische und rechtliche Aspekte zur Verwendung digitaler Daten erörtert.

Die Bedeutung und das Potenzial der künstlichen Intelligenz als Werkzeug oder Methodik für die „Religious Studies“ wurden ausgelotet sowie technologische, philosophische und ethische Fragen zur Rolle der KI erörtert. Dabei kam wiederholt die Frage nach Möglichkeiten und Grenzen der Standardisierung und Interoperabilität auf angesichts der Schwierigkeit, Daten und Ergebnisse unterschiedlicher Forschungsprojekte für weitere Forschungen (nach-)nutzen zu können.

Es wurde festgestellt, dass Interoperabilität bei klar definierten Anwendungsbereichen und Forschungsfragen sowie einem gemeinsamen Vokabular erreicht werden kann und sollte, mit zunehmender Komplexität der Strukturen jedoch an ihre Grenzen stößt und nur auf Kosten der Codierungstiefe und mit dem Risiko des Verlustes semantischer Inhalte möglich ist.

Da sich Religionswissenschaften und Theologien vielfach mit multilingualen Texten befassen, die aus unterschiedlichen Alphabeten stammen, stellen sie eine besondere Herausforderung für die Interoperabilität dar, zumal Begriffe je nach historischem oder regionalem Kontext sich wandelnde Bedeutungen aufweisen. Die Implementierung eines Standards für Katalogisierungssysteme und in der der TL/ML-Umgebung wurde diskutiert.

Anforderungen an eine optimale digitale wissenschaftliche Edition eines historischen Textes wurden herausgearbeitet, die Entstehung und Textwandel durch die Abbildung stemmatischer Abhängigkeiten und Textvarianten sichtbar macht, dabei aber einen lesbaren Text bereitstellt, der Raum und Werkzeuge für die Interpretation des Nutzenden bietet – Funktionalitäten, die weit über diejenigen gedruckter (oder digitalisierter) Editionen hinausgehen.

Die Qualität der Daten wurde diskutiert: Was sind die Standards für Daten, die effektiv in der Forschung verwendet werden können? Die „Religious Studies“ beschäftigen sich mit Daten in einem historischen Kontext. Digitale Daten ermöglichen es zwar, den Forschungsprozess zu reproduzieren, aber Daten allein führen nicht zu Forschungsergebnissen. Während des gesamten Workshops blieb es diskussionswürdig, ob ein einzelner Standard möglich und hilfreich ist, welche Standards gesetzt werden und wie viel Raum für menschliche Eingriffe bleibt.

Die notwendige Unterscheidung zwischen zwei Arten von Daten wurde konstatiert: Einerseits der Informationsträger in Form der physischen Ressource, und andererseits die Information, welche die Bedeutung(en) trägt. Physische Ressourcen sind nach wie vor wichtig für die Beantwortung religionswissenschaftlicher Fragen, die digitale Textdaten allein nicht übermitteln können. Digitale Daten aus diesen Ressourcen haben ihren Platz bei der Beantwortung spezifischer Fragestellungen. Die Wahl der Werkzeuge und Daten ist abhängig von der wissenschaftlichen Fragestellung; eine Infrastruktur stellt diese Ressourcen modular zur Verfügung. Diejenigen, die Daten erstellen, müssen von dieser Fragestellung abstrahieren, um relevante Inputs erstellen zu können.

Ein weiterer Schwerpunkt stellte die Übertragung der im Workshop behandelten Themen in das Design und die Arbeit von Forschungsinfrastrukturen dar, um die technologische Umsetzung sowie die Nachhaltigkeit zu gewährleisten angesichts der Herausforderungen, die sich aus dem Lebenszyklus von Software ergeben. Diese Fragestellungen wurden schließlich zugespitzt auf die Anwendung für eine Forschungsinfrastruktur für „Religious Studies“, die sehr unterschiedliche Nutzungsbedürfnisse je nach Fachgebiet und Forschungsfrage beantworten muss.


Das InfAI ist als Konsortialpartner am Aufbau der Forschungsinfrastruktur RESILIENCE beteiligt, die eine von der Europäischen Kommission geförderte Hochleistungsplattform für Religionswissenschaften und Theologie aufbaut und seit 2021 in der ESFRI-Roadmap aufgeführt ist.